Kehrtwende der UNO im Westsahara-Konflikt

Ein Sieg für das Recht des Stärkeren statt für Menschenrechte und konstruktive Konfliktbearbeitung

medico international fordert Bundesregierung auf, sich für eine friedliche Lösung einzusetzen

Wie aus jüngsten Pressemeldungen hervorgeht, hat UN-Generalsekretär Kofi Annan in seinem neusten Bericht zur Situation im Konflikt um die ehemalige spanische Kolonie Westsahara von der seit 10 Jahren durch die UNO getragene Referendums-Lösung Abstand genommen und den marokkanischen Interessen entgegenkommenden Autonomie-Plan für die Westsahara favorisiert. Damit vollzögen die Vereinten Nationen eine beispiellose Kehrtwende in ihrer bisherigen Politik als neutraler Konfliktvermittler. Noch in der letzten Resolution des UNO-Sicherheitsrates zur Westsahara wurde das Mandat der den Waffenstillstand überwachenden UNO-Friedenstruppen Minurso mit der Auflage verlängert, eine für beide Seiten akzeptable politische Lösung zu finden. Sollte der UN-Sicherheitsrat, am kommenden Dienstag, dem 26.6., dem Vorschlag Annans zustimmen, dann würde er gegen alle Verpflichtungen der UN-Charta einzig dem Recht des Stärkeren zur Durchsetzung verhelfen. Denn nach allem, was bisher bekannt ist, ist der Autonomie-Plan für die Westsahara nur für Marokko nicht aber für die unterdrückte und vertriebene sahrauische Bevölkerung akzeptabel.

Zur Vorgeschichte des Konflikts

Bei der Auseinandersetzung um die Westsahara handelt es sich um den letzten Kolonialkonflikt. Gegen alles Völkerrecht hatte sich Marokko die ehemalige spanische Kolonie 1976 einverleibt und die ansässige Bevölkerung, die Sahrauis , unter anderem mit dem Einsatz von Napalm-Bomben vertrieben. Tausende von Sahrauis starben. In einem „grünen Marsch" siedelte das marokkanische Regime hunderttausende Marokkaner in der Westsahara an, um die reichen Fischfanggründe, die Phosphat-Vorkommen und die vermuteten Bodenschätze an Gas- und Erdöl zu sichern. Die vertriebenen ca.160.000 Sahrauis leben seither in Flüchtlingslagern in der Geröllwüste im südwestlichen Algerien unter unwirtlichen Bedingungen und abhängig von äußerer Hilfe, die u.a. von medico seit 25 geleistet wird. Seit 1991 hoffen die Flüchtlinge auf die Umsetzung des UN-Friedensplans, der ein Referendum über die Zukunft der Westsahara vorsah, und von dem sie sich Sicherheits- und Lebensperspektiven versprochen hatten.

UN-Rückzug wäre eine politische und humanitäre Katastrophe

Dass die UNO diesen Plan nun aufzugeben droht, kommt für die Flüchtlinge einer politischen und humanitären Katastrophe gleich. Denn der angekündigte Autonomie-Plan bietet weder den einzelnen Flüchtlingen noch den Sahrauis insgesamt eine tragfähige Perspektive.

Vorgesehen ist offenbar, dass die Sahrauis einen Exekutivrat wählen dürfen, dass aber zugleich alle in der Westsahara lebenden Menschen, also auch die zugezogenen Marokkaner in einem weiteren Urnengang den Legislativrat wählen sollen. Beide Gremien gemeinsam sollen die Autonomie verwalten , die allerdings nur kulturelle und einige wirtschaftliche Befugnisse haben soll. Zugleich heißt es in dem Vorschlag: "Marokko hat weiterhin die alleinige Kompetenz über internationale Beziehungen, die nationale Sicherheit sowie die Verhütung sezessionistischer Bestrebungen innerhalb und außerhalb des Territoriums."

medico international hat vor anderthalb Wochen mit einer großen Delegation die Flüchtlingslager in Algerien besucht. Nach unseren Beobachtungen wäre der oben beschriebene Vorschlag für keinen der Flüchtlinge, die wir trafen, akzeptabel. Allein die Minorisierung der Sahrauis - wie sie der Vorschlag vorsieht, noch dazu ohne jedewede Sicherheitsgarantien zu formulieren, würde nach den Erfahrungen, die die Sahrauis mit der marokkanische Vertreibung und Unterdrückung gemacht haben, nicht angenommen werden. Mit dem Sezessionismus-Vorwurf ließen sich zudem alle politisch eigenständigen Bemühungen der Sahrauis in der Westsahara unterdrücken. Wie es um Meinungsfreiheit in Marokko bestellt ist, lehrt bereits jetzt die Erfahrung mit der marokkanischen Besetzung. Erst vor wenigen Monaten wurden einige marokkanische Zeitungen verboten, die nur in einem etwas neutraleren Tonfall über die Westsahara berichteten. Sahrauis, die in der Westsahara leben, und sich politisch äußern, sind permanenten Verfolgungen ausgesetzt. Jüngste Studentenunruhen in El Ayoun wurden von der marokkanischen Zentralregierung schärfstens sanktioniert. Immer wieder gibt es Berichte, dass sich marokkanische Milizen in der Westsahara gebildet haben, um gegen die Sahrauis vorzugehen. Willkürliche Verhaftungen derer, die zur Westsahara-Frage eine andere als die offizielle Meinung vertreten, sind auf der Tagesordnung. Bereits jetzt sind die Sahrauis in der Westsahara nicht nur politisch sondern auch wirtschaftlich marginalisiert. Geschäftslizenzen, die vom Staat vergeben werden, gehen fast ausschließlich an Marokkaner. Die im Vergleich mit anderen arabischen Staaten liberale Verfasstheit in den Flüchtlingslagern wäre mit der sog. Autonomie-Regelung ebenfalls gefährdet. So gilt in Marokko der „Code de la famille", der die Vorherrschaft der Männer in allen Familienangelegenheit vorschreibt. Die sahrauischen Frauen haben dagegen in den Lagern eine gleichberechtigtere Position erreicht als die meisten ihre Geschlechtsgenossinnen im maghrebinischen Raum.

Solange Marokko die Deutungshoheit über den Konflikt besitzt - nun auch noch von der UNO positiv sanktioniert - und noch nicht einmal Stellung beziehen muss zu dem Unrecht, das es an den Sahrauis begangen hat, gibt es auf Seiten der Sahrauis keinen Grund, vertrauensvoll auf die Kooperationswilligkeit Marokkos bezüglich einer äußerst beschränkten Autonomie zu bauen. Selbst für eine Autonomie-Regelung, die diesen Namen verdienen würde, fehlt bislang jede Vertrauensgrundlage. Bemühungen Vorurteile abzubauen, beispielsweise Treffen von sahrauischen und marokkanischen Frauen zu organisieren, sind bislang am Widerstand Marokkos gescheitert. Die meisten Sahrauis befürchten, dass der Annan-Plan nichts weiter ist, als ein Plan zur Assimilierung der Sahrauis in die marokkanische Gesellschaft. Wer dazu nicht bereit ist, der muss sich apartheid-ähnlichen Bedingungen unterwerfen: „Bekennende Sahrauis" werden politisch und ökonomisch ausgeschlossen.

Das traurige Ende einer UNO-Friedensmission?

Die politische Vertretung der Sahrauis , die Frente Polisario, hat ihre Ablehnung einer Autonomie-Lösung mehrfach bekundet. Nach unseren Beobachtungen trifft dies auch die Stimmung der Menschen in den Lagern. Tatsächlich wird der Annan-Vorschlag den Konflikt nicht lösen, sondern eher eskalieren. Die verzweifelte Bereitschaft der Sahrauis, lieber den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen als sich Marokko zu unterwerfen, konnte die medico-Delegation in allen Gesprächen wahrnehmen. Der UNO-Plan wird diese Entschlossenheit befördern. Wenn der UN-Plan nicht dazu dient, den Konflikt zu lösen oder wenigsten zu entschärfen, wozu dient er dann?

Es steht zu befürchten, dass sich die UNO aus finanziellen und politischen Gründen von ihrer Friedensmission in der Westsahara verabschiedet. Der Einsatz ist teuer, während die Einnahmen der UNO zurückgehen. Geostrategische Interessen an Marokko verhindern bislang, dass die EU, einzelne Mitgliedsstaaten oder die USA ernsthaften Druck auf den maghrebinischen Staat ausüben. Nur so aber ließe sich eine tragfähige Lösung für die Sahrauis durchsetzen. In der Westsahara-Frage droht so das Recht des Stärkeren mehr zu wiegen als Menschen- und Völkerrecht, mehr als die Prinzipien der Krisenprävention. Bedauerlich ist allerdings, dass die UNO diese Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit nicht offen thematisiert und stattdessen dem schwächsten Teil in diesem Konflikt, den Sahrauis, den Schwarzen Peter zuschiebt. Die UNO verlangt von ihnen die Unterwerfung unter eine Autonomie-Regelung, die geschehenes Unrecht und Leid leugnet, indem sie dem Aggressor in den entscheidenden Belangen nachgibt.

Falsches Signal für die Rolle der UNO

Verabschiedet der UN-Sicherheitsrat den vorliegenden Plan für die Westsahara würde ein fatales Signal für die künftige UN-Politik erfolgen: nicht Krisenprävention und Menschenrechte, die doch so häufig wie noch nie zuvor von westlichen Außenpolitikern in den Mund genommen werden, wären dann Maßstäbe einer UN-Politik, sondern einzig und allein die Macht und das Recht des Stärkeren. Deshalb fordert medico international die Bundesregierung auf, so schnell wie möglich im Rahmen der UNO und der EU für eine tragfähige und gerechte Lösung des Konflikts um die Westsahara zu sorgen. Dazu bedarf es der Zustimmung beider Seiten, auch die der Sahrauis.

Für Gesprächswünsche und Hintergrundinformationen wenden Sie sich bitte an:

Katja Maurer (Presse) 069-944 38 29, 0171 122 12 61 , maurer@medico.de

Sabine Eckart (Projektkoordinatorin für die sahrauischen Flüchtlinge) S.Eckart@t-online.de


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