EL KARAMA

Die Menschenwürde

No.13 & 14

Oktober 1997 - März 1998

online Ausgabe in deutscher Uebersetzung des Informationsbulletins von

AFAPREDESA
Association des familles des prisonniers et disparus sahraouis

Camps de réfugiés
case postale 12
TINDOUF Algérie

Fax: 213 793 15 68

&

 

Bureau des Droits de l'Homme de la Coordination européenne du soutien au Peuple Sahraoui
case postale 53
CH-1211 Genève 9

Fax: 022 /320 65 50
e-mail:
bdh@arso.org


Menschenrechte und Referendum - Wie denkt AFAPREDESA darüber?

Neue Hoffnung für das sahrauische Volk? Laut dem letzten Bericht des Generalsekretärs der UNO vom 24. September 1997 wird das Referendum in etwas mehr als einem Jahr stattfinden. Die Konfliktparteien Marokko und Frente Polisario sollen bei den direkten Verhandlungen während der letzten Monate eine Verständigungsgrundlage gefunden haben: eine Grundlage, auf der sich das Vertrauen zu etablieren beginnt, bei der das gegebene Wort kein schnell zurückgenommenes Versprechen ist und bei der die Transparenz des Wahlprozesses unabdingbar für die Akzeptanz des Wahlergebnisses ist. Das wollen wir gern glauben. Dennoch wissen wir, daß es neben der Überzeugungskraft der UNO und des erfahrenen Vermittlers James Baker des Drucks aller Kräfte bedarf, von Ihrer und unserer Seite, von unseren Vereinigungen, Organisationen und Regierungen. Unter diesen Umständen hat der Frieden eine Chance zu gewinnen und kann die Achtung der Menschenrechte vorangebracht werden.

AFAPREDESA jedenfalls verfällt nicht in übertriebene Hoffnung. Die Vereinigung der Angehörigen der sahrauischen Gefangenen und Verschwundenen bleibt beunruhigt. Sie stellte die notwendigen Fragen auf der Internationalen Konferenz zur Unterstützung des Friedensplans für Westsahara, die vom 25. bis 28. September 1997 in den sahrauischen Flüchtlingslagern stattfand:

Welche Garantien werden den Sahrauis gegeben, um während und nach dem Referendum ihre Meinung frei äußern, sich frei bewegen und über ihr Schicksal in voller Freiheit bestimmen zu können?

Wie will man garantieren, daß im Verlaufe der Etappen des Referendums keinerlei Intervention seitens der verschiedenen repressiven Apparate auftritt?

Im Bericht des Generalsekretärs allerdings heißt es, daß die Verwaltung des Territoriums erst drei Wochen vor dem Referendum, also während der Wahlperiode in die Hände der UNO (MINURSO) übergeht. Ist das ausreichend? Daran ist mit Recht zu zweifeln!

Von Beginn der Wahlperiode an wird AFAPREDESA als offensive Kraft präsent sein. Sie muß eine assoziative Kontrollfunktion in Bezug auf die Menschenrechte während des Referendums wahrnehmen. Sie garantiert, daß die Grundrechte im Mittelpunkt des politischen Geschehens bleiben. Wir glauben an die Kraft dieser Vereinigung. Und wir brauchen Sie, um ihr zu helfen, ihre Mission zu erfüllen.

Marokkanische Einschüchterungsversuche schaden dem Ablauf des Referendums

Seit die Wiederaufnahme des Referendumsprozesses angekündigt wurde, ist die Lage der in den besetzten Gebieten lebenden Sahrauis von größerer Unsicherheit geprägt denn je zuvor. AFAPREDESA hat mehrfach die Öffentlichkeit darüber informiert, daß in willkürlicher Weise Verhaftungen vorgenommen und die Verhafteten wenige Tage darauf wieder freigelassen würden, nachdem sie einem Verhör und häufig der Folter ausgesetzt waren. Ist dies nicht ein Szenario - so alt wie Kriege -, das auf Einschüchterung beruht, die sich gerade vor dem Ende eines Konfliktes verstärkt und an Häufigkeit zunimmt?

Für die marokkanischen Behörden in den besetzten Gebieten geht esdarum, die Sahrauis unmißverständlich zu warnen, wenn sie auf den Gedanken kommen sollten, den Wahlkampf vorzeitig zu beginnen.

Die früheren verschwundenen Sahrauis, die im Juni '91 die Freiheit wiedererlangten, sind ebenfalls Zielscheibe von Einschüchterungsmaßnahmen. AFAPREDESA kritisiert auf das schärfste die Verhöre, deren Opfer diese Männer und Frauen sind. Sie werden über ihre Identität, ihren Stand, ihre Beziehungen und über den Zeitraum ihres "Verschwundenseins" ausgefragt. Diese ehemaligen Verschwundenen werden natürlich der Sympathie für die POLISARIO verdächtigt. Die Belästigungen, denen sie ausgesetzt sind, enthalten eine klare Botschaft: Die Wiederaufnahme der Identifizierung der Wahlberechtigten bedeutet keinesfalls, daß ihr eure Gefühle und Meinungen ausdrücken könnt.

Die Bevölkerung der besetzten Gebiete sieht sich folglich im marokkanischen Netz gefangen; und diese Anspannung droht zuzunehmen, je näher der Beginn der Wahlkampagne rückt. Deshalb besteht unser aller Aufgabe weiterhin darin, sämtliche Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten der Westsahara aufzudecken und dem UN-Generalsekretär in New York und dem Hochkommissar für Menschenrechte in Genf zu melden.


AFAPREDESA und das Referendum über die Selbstbestimmung

In ihrem Beitrag hat AFAPREDESA daran erinnert, daß «die marokkanischen Behörden weiterhin die Menschenrechte und die grundlegenden Freiheiten verletzen. Tausende Verhaftete, hunderte Verschwundene, Deportierte und eine ganze Bevölkerung, die jeglichen Kontaktes mit der Außenwelt beraubt ist. Es genügt ein Vorwand, damit ein Sahraui in geheime Gefängnisse gebracht wird: ein Mitglied der Familie ist Angehöriger der Frente Polisario, Teilnahme an einer Demonstration, Schreiben an oder Hören von Radio "Sahara libre" (...). Bis jetzt ist AFAPREDESA immer noch ohne Nachricht von hunderten Verschwundenen, obwohl es Anzeichen dafür gibt, daß einige von ihnen noch am Leben sind. Jahrelang hat Marokko versucht, diese Tatsachen zu verbergen, aber als das Land unter dem Druck einiger Menschenrechtsorganisationen und Komitees zur Unterstützung des sahrauischen Volkes im Juni 1991 fast 300 Verschwundene freiließ, wurde sich die internationale Gemeinschaft der Realität bewußt. Marokko ist eben nicht nur ein kleines "Paradies", in dem man angenehme Ferien unter südlicher Sonne verbringen kann, sondern auch ein Land, in dem zynische Willkür herrscht (...). Nur selten wurden Sahrauis in einem Gerichtsverfahren verurteilt. Diejenigen, die vor Gericht gestellt wurden, erhielten nicht einmal die geringsten rechtlichen Garantien. Zahlreiche Sahrauis wurden ermordet. Allein während der Stationierung der MINURSO in der Westsahara, wurden mehr als zwanzig Menschen von der marrokanischen Besatzungsmacht getötet (...).»

AFAPREDESA, reich an Erfahrung und wachsam, nimmt ihre begleitende Rolle wahr, indem sie der Politik Fragen stellt. Aus diesem Grund macht die Vereinigung folgende Vorschläge, die von den Verhandlungspartnern sehr ernst genommen werden müssen:

  1. Das Problem des gewaltsamen Verschwindens von Menschen muß vor Beginn des Referendums gelöst werden.
  2. Die sterblichen Überreste der in den marokkanischen Kerkern Verstorbenen müssen deren Familien übergeben werden.
  3. Die Opfer von Folter und Mißhandlungen werden entsprechend entschädigt und versorgt.
  4. Die nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisationen und unabhängige Beobachter müssen während des Referendums massiv in der Westsahara präsent sein.
  5. AFAPREDESA, die als nichtstaatliche Organisation vor Ort sein wird, muß finanziell und materiell unterstützt werden, damit sie ihre Arbeit zum Schutz der Menschenrechte und der Anklage jeglicher Menschenrechtsverletzung erfolgreich durchführen kann.

Nur wenn diese Bedingungen erfüllt sind und keinerlei ziviler oder militärischer Druck ausgeübt wird, kann ein gerechtes und ordnungsgemäßes Referendum stattfinden.


Friedensnobelpreis für die internationale Kampagne zum Verbot von Landminen


Wußten Sie, daß die Sahara vermint ist?

Das Problem der Landminen in der Westsahara ist gleichzeitig eine alte Sorge und allgegenwärtige verhängnisvolle Realität. Man muß sich nur in die sahrauischen Flüchtlingslager begeben, um Menschen zu begegnen, deren Leben an jenem Tag zerbrochen ist, an dem sie durch eine Landmine verstümmelt wurden.

Die schweren Kriegstrophäen, die die sahrauische Armee vor dem Waffenstillstand in 15 Jahren Krieg von Marokko erbeutete, rosten im «Waffenmuseum» vor sich hin und verfallen langsam. Dort sind auch hunderte Landminen aller Größen und Herkunftsländer ausgestellt. Die todbringenden Schrotteile, die aussehen wie Uhrgehäuse, sind auf dem Sand in Reih und Glied angeordnet, und für einen Moment wird der Besucher von Panik erfaßt. Sind sie entschärft, oder können sie - mit all dem Zynismus, den sie verkörpern - auch jetzt noch töten, in diesem geschützten Umfeld?

Jetzt beginnt man, von Frieden in Westsahara zu sprechen. Wann wird man von den Minen sprechen? Sie machen auf mehreren tausend Kilometern aus dem sahrauischen Territorium ein Pulverfaß, einen potentiellen Friedhof. Wie Sie sich erinnern werden, hat die marrokanische Armee eine mehr als 2000 Kilometer lange Mauer gebaut, um die sahrauischen Kämpfer zu isolieren und ungestört die wirtschaftliche Ausplünderung des besetzten Landes betreiben zu können. Die fortschreitende Verminung des Geländes ist einer der Hauptpfeiler ihrer tödlichen Strategie.

Landminen und Nomadentum

Das Land, in dem die Minen töten, hat wenig Bedeutung. Die Minen werden geächtet. Aber nehmen Sie den Fall Westsahara. Wenn die im Rahmen der Direktverhandlungen getroffenen Entscheidungen umgesetzt werden, ziehen die Sahrauis wieder umher zwischen Dörfern, Oasen und Lagerplätzen. Einige nomadisieren bereits im Schutz der befreiten Gebiete, und weitere Menschen werden diese Lebensweise wieder aufnehmen. Ihr Nomadentum wird sie auf beide Seiten der Mauer führen. Was ist der Preis dafür? Wie soll ein Nomadenvolk, welches seine Herden durch das Land treibt und seine Zelte an den verschiedensten Orten aufschlägt, in einem Gebiet leben, das so dicht vermint ist?

Und die Minenräumung?

Wann und wie soll die Beseitigung der Landminen in der Westsahara beginnen? Kann man nach dem Prinzip verfahren: Der Verursacher kommt für den Schaden auf? Oder wird man aus Kostengründen einen enormen Gebietsverlust quer durch Westsahara durch eine wegen Minen verbotene Zone in Kauf nehmen? Und von Zeit zu Zeit wird man unter der Rubrik «Lokalnachrichten» erfahren, das die Minen immer noch töten. Es muß daran erinnert werden, daß, wenn täglich weltweit 900 Minen geräumt werden, gleichzeitig 9000 neue gelegt werden, und daß 110 Millionen Landminen geduldig auf ihren tödlichen Einsatz warten (Courrier de GenËve vom 12.10.97).

Das sahrauische Volk wird vielleicht den Frieden erringen. Aber der Krieg wird seine Gewalt, seine tödliche Logik und seine Absurdität über Jahre hinweg beibehalten, wenn die Minenräumung des Landes nicht sofort beginnt. Minen sind unverwüstlich und können über einen Zeitraum von mehreren Generationen ihr gefährliches Potential reaktivieren. Ist das Land also dazu verdammt, geteilt zu sein durch dieses Erbe des menschlichen Wahnsinns?

In einem Interview im Anschluß an die Entscheidung, mit dem Friedensnobelpreis die internationale Kampagne für das Verbot von Landminen auszuzeichnen, hat die Koordinatorin der Schweizer Kampagne, Elisabeth Reusse-Decrey gesagt, daß «ich persönlich meine, daß der Gesamtbetrag des Friedensnobelpreises für die Minenräumung sowie für die Betreuung und Wiedereingliederung der Opfer verwendet werden muß» (Courrier de Genève vom 12.10.97). Wir wünschen, daß ihr Vorschlag Gehör findet. Auch die Westsahara benötigt diese Mittel dringend.

 

 

8 Monate nach Beginn der Kampagne zur Befreiung von Mohamed Daddach

Überlegungen

Hunderte Menschen haben aktiv an der Kampagne zur Befreiung von Daddach teilgenommen, dem sahrauischen Gefangenen, der in Marokko wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt und dessen Strafe in lebenslängliche Haft umgewandelt wurde. Es wurden Briefe geschickt an:

Die im Frühjahr veröffentlichte Sonderausgabe von El Karama wurde in mehrere Sprachen übersetzt und ihre Aufrufe in vielen Ländern aufgenommen: Italien, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Schweiz. Beiträge, die die Freilassung von Daddach fordern, sind ebenfalls in Kuba, Mexiko, Schweden und Norwegen erschienen. In der französischsprachigen Schweiz und in England wurden Petitionen in Umlauf gebracht.

Heute stellt sich die Frage, wie die Kampagne fortgeführt werden soll. Dafür müssen wir die Mehrdeutigkeit des Status von Mohamed Daddach aufheben.

Kann er sahrauischer Gefangener in Marokko sein und für Fahnenflucht verurteilt werden?

Ist er Kriegsgefangener und gehört als solcher zu den Gefangenen, die vor dem Referendum freigelassen werden müßten?

Ist er Gefangener aus Gewissensgründen, weil er immer seine sahrauische Nationalität betont und verlangt hat, als Sahraui, der im spanischen Zensus von 1974 erfaßt ist, in die Wählerlisten aufgenommen zu werden?

Mohamed Daddach ist heute in erster Linie ein sahrauischer Bürger, und als solcher muß er freigelassen werden, um am Referendum teilnehmen zu können.

Wir brauchen Ihre Hilfe, um die Situation von Daddach zu klären und ihm die Staatsbürgerschaft zurückzugeben, die er immer eingefordert hat. Wir haben gegenwärtig den Eindruck eines Hin- und Her zwischen den Organisationen, die sich der Kriegsgefangenen annehmen, und denen, die sich besonders für Gefangene aus Gewissensgründen einsetze


Kontaktadressen

Deutschland: Gesellschaft der Freunde des Sahrauischen Volkes e.V., Paganinistr. 9, D-81247 München, e-mail: bm396687@muenchen.org

Schweiz: Schweizerisches Unterstützungskomitee für die Sahrauis, p.f. 8205, CH-3001 Bern, e-mail: baesch@giub.unibe.ch

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[Droits de l'Homme au Sahara Occidental - Human Rights in Western Sahara]
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